Das wichtigste Prinzip, um schnell flexibler zu werden

By Marita Matzk | Training im Alltag

​Was müssen Muskeln* tun, um länger, also gedehnter, zu werden?

Sich anstrengen?

Falsch!

Sie müssen LOSLASSEN.

Das ist dir nicht auf Anhieb klar? Hier eine ganz kurze Erläuterung*:

Muskeln verkürzen sich und werden dicker, wenn man sie anspannt. Dadurch bewegen sie etwas im Körper (z.B. der Bizeps spannt sich an und holt den Unterarm ran).

Soll ein Muskel länger werden, ​muss er lockerlassen. ​Und sich in die Länge ziehen lassen - von anderen Muskeln (z.B. wenn der Trizeps den Arm wieder streckt, verlängert er den Bizeps), oder von äußeren Einflüssen (Physiotherapeuten, auf einem herumtollende Kinder, das Eigengewicht des Körpers, Gegenstände, die auf unsere Bewegung wirken).

Das wichtigste Prinzip beim Flexibilität-Aufbauen lautet daher: Lockerlassen. Überflüssige Spannung loslassen.

​Damit haben wir auch d​as größte Hindernis identifiziert:

Spannung festhalten.

Wodurch halten wir Spannung fest?

Zum Beispiel, indem wir es besonders gut machen wollen. Indem wir uns während der Dehnung die ganze Zeit fragen, ob das so richtig ist. Ob das so gut aussieht. Ob wir dem Idealbild entsprechen!

​Die "ideale Haltung" in deinem Kopf ist der größte Hinderungsgrund auf dem Weg zu mehr Flexibilität.


Wie kommt es, dass wir so viele nicht-hilfreiche Idealbilder mit uns herumtragen? Besonders im Yoga, im Tanz und allem, was mit unserem Körper zu tun hat?

  • Oft schauen wir uns ​Fotos von ​Bewegung an. Diese zeigen immer eine Endhaltung. Ob die dahinführende Bewegung schön, geschmeidig und stimmig war, können wir auf einem Foto nicht erkennen. Wenn wir dann selbst Yoga (oder was auch immer) machen, haben wir dieses dumme, kleine, zweidimensionale Bild im Kopf und versuchen gewissermaßen, selbst zwischen zwei ​Illustriertendeckel zu passen.
  • Kennst du den Witz mit Picasso und dem Mann in der Bahn? Der Mann schwärmt von seiner Frau und sagt "Warten Sie. Ich zeige sie Ihnen." Er holt ein Passfoto seiner Frau hervor, reicht es hinüber und meint "Ist sie nicht wunderschön?" Picasso begutachtet das Foto, wiegt den Kopf und sagt: "Ganz schön klein und platt, Ihre Frau!"

    Merke: Versuche nie, nie, nie, ein Foto zu sein! (und auch kein besonders hübsches Spiegelbild 😉 )

  • Yoga wurde ursprünglich als eher statische Praxis entwickelt. Ziel war nicht ​vorrangig, dem Körper etwas Gutes zu tun, sich toll zu bewegen oder mega-flexibel zu werden, sondern sich auf die Meditation vorzubereiten, den Geist zu Ruhe zu bringen.
  • ​Wir alle denken "perfekt sein" zu müssen​. Damit reagieren wir auf die ständigen Bewertungssysteme, mit denen wir aufwachsen: Alles ist scheinbar entweder "gut" oder "schlecht". Wir alle streben nach der 1 in der Schule (= das Idealbild) und vorzeigbaren, oft zweidimensionalen, selten langfristig glücklich machenden Zielen (Zeugnissen, Statussymbolen, Facebook-Inszenierungen unseres Lebens). 

"Es gibt kein gut oder schlecht" ist daher eins der wirkungsvollsten ​Prinzipien auf dem Weg zu mehr Flexibilität: gegen geistiges Schwarzweißdenken ebenso wie gegen körperliche Rigidität.


Aus diesem Haupt-Prinzip ergeben sich ​weitere, sportmedizinisch sinnvolle Ansätze fürs Flexibilitäts-Training:

  • Spiele mit der Haltung! ​Bleibe in der Dehnung dynamisch, ​verändere die Richtung der Oberkörpers immer mal wieder leicht und beobachte, w​ie sich der Zug der Dehnung dabei verändert und verlagert. Dadurch dehnst du nicht immer wieder ein und denselbenden Muskel, oder Anteil eines Muskels, sondern du findest die Stellen, wo du ganz persönlich die Dehnung am nötigsten hast. Die entstehende, umfassende Flexibilität kannst du viel besser in ​Bewegungen des Alltags mitnehmen, als wenn du nur "Haltungen" absolvierst.
  • Bleib in einem Bereich, in dem du die Dehnung zwar spürst, aber noch locker beweglich bist und tief atmen kannst. Gehst du zu schnell zu tief in die Dehnung hinein, kann der Schmerzimpuls das Gehirn dazu bringen, den "verletzungsgefährdeten" Bereich mehr zu stabilisieren: durch Anspannung ebenjener Muskeln, die du doch eigentlich dehnen wolltest. Das war bei unseren Vorfahren ein sinnvolles Prinzip, um z.B. einen Knochenbruch oder eine Verletzung ohne Gips und Co. ruhigzustellen. Für Flexibilität sorgt es aber gerade nicht:
  • "No Pain, no gain" ist auch hier kein sinnvoller Glaubenssatz!

  • Atme tief und lang weiter. Das unterstützt den "Regenerationsmodus" (Parasymatikus) des vegetativien Nervensystems und ​senkt damit wieder die muskuläre Grundspannung - eine gute Voraussetzung fürs Loslassen und Dehnen... ein Kreislauf! Den meisten Menschen fällt das Atem-Verlängern übrigens leichter, wenn sie sich dabei auf entweder die Ein- oder die Ausatmun konzentrieren (die andere Atemphase wird von allein tiefer). Auch die Verbindung von Atem und Bewegung hilft: Lass dich von jeder Einatmung ein bisschen gehoben und ausgedehnt werden in der Haltung, lass mit jeder Ausatmung alles wieder weich werden und sinken.
  • Gib dir Zeit. An der Flexibilität maßgeblich beteiligt sind die Faszienhüllen, die die einzelnen Muskelfasern, aber auch größere Muskelabschnitte umhüllen (so ähnlich wie die kleinen Häutchen um die Spalten und die Mini-Fruchtfleischfasern im Inneren einer Apfelsine). Wenn diese Hüllen gut wasserhaltig übereinander gleiten, bist du beweglich, wenn sie durch langanhaltende Spannung verkleben, kann es eine Weile dauern, bis sich die Verklebungen lösen. ​Die Faszien reagieren auf Belastung und richten ihre Fasern danach aus. Wenn sie lange nicht beansprucht und "durcheinander" angeordnet sind, braucht es ständige Impulse über längere Zeiträume, um sie wieder sinnvoll auszurichten.
  • Aktiviere den Gegenspieler. Das ist der Muskel, der das Gegenteil vom gedehnten Muskel bewirkt. Meist ist es auch der Muskel (oder die Muskelgruppe), der die Dehnung im gewünschten Bereich bewirkt (wie der Trizeps für den Bizeps).
  • Spann den gedehnten Muskel  während der Dehnung immer mal spielerisch an und lass dann wieder los. Damit erreichst du, dass die Muskelfasern nicht nur länger, sondern gleichzeitig auch immer mal dicker werden. Das löst und dehnt ​die Faszienhüllen drumherum ​dreidimensional, in allen Anteilen und Faserrichtungen - wieder eine gute Voraussetzung dafür, dass du die Flexibilität nicht nur in einzelnen Haltungen auf der Matte umsetzen kannst, sondern auch in den Alltag mitnimmst!

​Da​mit das alles nicht nur bloße Theorie bleibt, habe ich dir eine entspannt bewegte Yogafolge zusammengestellt, die spielerisch deine Flexibilität erhöht. ​Mach das Video unten mit und denk dran: 

  • LOSLASSEN! 
  • ES GIBT KEINE PERFEKTE HALTUNG - ​spür rein, was sich stimmig anfühlt! 
  • ATME​ST DU NOCH LANG UND TIEF?
  • ​BEWEG DICH IN DEN HALTUNGEN.

Die Yogafolge ist geeignet für Schwangere - ich selbst bin hier im 5. Monat schwanger mit meinem dritten Kind 🙂.

Mach diese Sequenz für 2 Wochen jeden Tag und du wirst staunen, was für Fortschritte du bezüglich deiner Beweglichkeit machst!

Die Folge ist inspiriert vom Strala Yoga und Imaginationsbildern frei nach Eric Franklin.

​Ich wünsche dir viel Spaß beim Üben!

Beweg dich geschmeidig wie eine große Katze,

Marita


* (wenn du was Ausführliches willst, lies in einem Buch nach oder schreib mir: mail@marita-matzk.de 😉 )

**Ich spreche in diesem Artikel der Einfachheit halber von "Muskeln", auch wenn natürlich auch andere, mit ihnen zusammenhängende Strukturen wie die umhüllenden Faszien und die die ​Kraft auf den Knochen übertragenden Sehnen mit dazugehören! Für den Effekt der Vostellungsbilder im Video reicht der Begriff "Muskel" aber vollkommen aus - man muss die einzelnen Bestandteile nicht "extra denken" ;).

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